IFWK präsentierte erste Auszüge aus ÖAW-Journalismus-Studie, wonach sich Wirtschafts-berichterstattung weg von Faktenorientierung hin zu „interpretativem Journalismus“ wandelt

Wien, 11. Sept. 2024 (IFWK). – Zwar wollen die meisten Leute ihr Erspartes möglichst gewinnbringend anlegen, für wirtschaftliche Zusammenhänge, wie sie von Wirtschaftsjournalisten tagtäglich aufbereitet werden, interessieren sich aber eher weniger Menschen. Wirtschaftswissen sei Mangelware, quer durch alle Alters- und Berufsgruppen, von der Schuldirektorin bis zum Bundeskanzler. So eine der Schlussfolgerungen der Enquete „Wie mächtig ist der Wirtschaftsjournalismus?“ des Internationalen Forums für Wirtschaftskommunikation (IFWK), in deren Rahmen erste Auszüge der Studie „Worlds of Journalism“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften für Österreich, Deutschland und die Schweiz präsentiert wurden.

Laut der soeben fertiggestellten weltweiten Studie „Worlds of Journalism“ prägt in Österreich ein verändertes Verständnis der Bevölkerung die Arbeit der Wirtschaftsjournalistinnen und
-journalisten: „Das Publikum geht weg von der reinen Faktenorientierung und so zeigt sich auch ein Wandel im Wirtschaftsjournalismus vom objektiven Faktenjournalismus hin zu einem interpretativen, aber auf Transparenz bedachten Journalismus“, hob Prof. Josef Seethaler, Abteilungsleiter des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), einen zentralen Aspekt hervor. Außerdem nehme die Bekämpfung von Desinformation auch in den Wirtschaftsressorts mittlerweile eine große Rolle ein. Nachgelassen hätten hingegen interventionistische Ansichten, welche aktiv Einfluss auf Öffentlichkeit und Politik ausüben möchten.

Das Thema „Macht von Journalisten“ aus dem Blickwinkel einer Top-Managerin beleuchtete Silvia Kaupa-Götzl, langjährige Vorständin der Österreichischen Postbus AG, davor Prokuristin bei den ÖBB: „Ich habe bei den ÖBB gelernt, dass wichtige Entscheidungen gemeinsam mit der Kommunikations- und PR-Abteilung transparent und nachvollziehbar aufbereitet werden müssen“, bestätigt sie das in der Studie erwähnte verstärkte Verlangen der Bevölkerung nach Transparenz im Journalismus. Schlimm finde sie allerdings, wenn Geheiminformationen aus Sitzungen plötzlich in Medien auftauchen oder Verhandlungspartner wie z.B. ein Betriebsrat mit einem „Gang zu den Medien“ drohten.

Naturgemäß sehen das die Vertreterinnen und Vertreter der Medien etwas anders: „Meine Aufgabe als Journalistin ist es, hinter die Kulissen zu schauen und Dinge rauszukriegen“, betonte die Doyenne des österreichischen Wirtschaftsjournalismus, Hedi Schneid.

Warum wurde der Kanzler nie zur Verantwortung gezogen?
Ihre Kollegin aus der Wirtschaftsredaktion der „Presse“, Madlen Stottmeyer, konstatierte, dass sie sowie ihre Kolleginnen und Kollegen des kritischen Finanz- und Wirtschaftsjournalismus einer „aussterbenden Berufsgruppe“ angehörten. Anhand von Beispielen wie Wirecard, Signa oder dem „STRABAG/Deripaska-Deal“ skizzierte die vielfach ausgezeichnete Redakteurin, was Journalismus leisten kann, beziehungsweise könnte: In Sachen Signa verwies sie darauf, dass Olaf Scholz damals Chef der BaFin war und zuvor Hamburger Bürgermeister, als der Elbtower-Deal unterzeichnet wurde: „Da stellt sich die Frage, warum er nie zur Verantwortung gezogen wurde und immer noch Bundeskanzler ist?“

Macht und Ohnmacht der Journalisten
Genau auf dieses Wechselspiel zwischen Macht und Ohnmacht eines Journalisten bzw. einer Journalistin, ging Hans-Peter Siebenhaar ein: Als langjähriger Redakteur des Handelsblattes, Konzernsprecher der OMV und nun in der Chefredaktion von Focus Money tätig, sagte er: „Die Eigenwahrnehmung ist laut der vorliegenden Studie, dass sie gar nicht so viel Macht haben. Aber natürlich haben sie Macht und die ist umso größer, je börsennotierter ein Unternehmen ist.“ – Schließlich werde der Aktienkurs als Gradmesser eines Unternehmens durch Nachrichten positiv oder negativ beeinflusst und stehe somit auch laufend im Fokus der Unternehmens-kommunikation. „Umso kleiner so ein börsennotiertes Unternehmen von seiner Markt-kapitalisierung her ist, umso anfälliger ist es natürlich auch gegenüber der Berichterstattung und der Analyse, die von den Medien kommt.“

Warum keine Börsenberichterstattung in ZiB2?
Zur Situation in Österreich meinte er, dass es traurig sei, dass das Wirtschaftsblatt eingestellt wurde: „Eine Volkswirtschaft im Herzen Europas verdient eine eigene Wirtschaftszeitung liberaler Art, die nah an den Unternehmen ist. Ich bedauere auch, dass der ORF als einer der ganz wenigen öffentlichen Rundfunkanstalten keine Börsenberichterstattung am Abend, also z.B. in der ansonsten journalistisch gut gemachten ZiB2 hat. Ökonomisch autarker Journalismus wäre gut für die Öffentlichkeit, das dient auch zur Ökonomisierung von Denken und Handeln.“

Auf die im Vergleich zu den Redaktionen viel stärker besetzten Kommunikationsabteilungen der Unternehmen ging Waltraud Kaserer ein. Sie arbeitete nicht nur im Bankenbereich und direkt an der Börse, sondern auch als Journalistin beim „Standard“, der „WELT am SONNTAG“ und baute die Seite von „manger-magazin.de“ sowie „ftd.de“ auf, sondern war auch als Kommunikationschefin in der Politik sowie bei börsennotierten Unternehmen wie der Lenzing AG tätig. „Für das Ungleichgewicht zwischen großen Kommunikationsabteilungen und Redaktionen, das Wirtschaftsjournalisten beklagen, sind die vielen Social-Media-Kanäle verantwortlich. Die Unternehmen stehen dort einem riesigen Bereich an unregulierten Absendern gegenüber, der rund um die Uhr ohne Gatekeeper, wie es die Journalisten in klassischen Medien sind, posten. Und wenn ein Shitstorm erst losgetreten ist, ist es wahnsinnig schwierig, ihn wieder einzufangen.“ Die klassischen Medien haben zu vielen Zielgruppen ihren Zugang und ihre Deutungshoheit verloren, die Macht der Wirtschaftsjournalisten ist zwar nach wie vor groß, aber nur mehr in einem Teil der Medienkonsumenten.

It´s the economy, stupid!
Auf ein Paradoxon wies Prof. Josef Herget, Direktor des Excellence Instituts, in der Diskussion hin: „Mantra-artig wird nach jeder Wahl, etwa gerade auch nach den deutschen Wahlen in Sachsen und Thüringen, Bill Clinton zitiert „It´s the economy, stupid!“, dennoch kommt der Verknüpfung von Politik und ihren ökonomischen Konsequenzen für das Alltagsleben in der Berichterstattung  kaum eine relevante Bedeutung zu. Madlen Stottmeyer stützte dieses Argument, indem sie darauf hinwies, dass etwa Politiker-Interviews hauptsächlich von Innenpolitik-Redakteuren durchgeführt werden und die ökonomischen Aspekte schlicht unter den Tisch fallen würden.

Finanz-Bildung ein zentrales Thema
Einen zentralen Raum der Enquete im Wiener Raiffeisenhaus, zu der IFWK-Gründer Rudolf J. Melzer Gäste aus Wirtschaft, Wissenschaft und Medien einlud, nahm die in weiten Teilen der Bevölkerung fehlende Finanzbildung ein: „16-jährige Lehrlinge haben oft keine Ahnung, wie sich die auf ihrem Gehaltszettel ausgewiesenen Sozialversicherungsbeiträge zusammensetzen, von Themen wie Zinsen oder Zinsdeckel gar nicht zu reden“, gab Karl Koczurek, Landesdirektor der Österreichischen Beamtenversicherung (ÖBV) zu bedenken. An der von sheconomy-Herausgeberin Michaela Ernst geleiteten Diskussion nahmen unter anderem Teil: Die Finanz-Chefin der APA – Austria Presseagentur sowie Geschäftsführerin der Gentics Software GmbH, Doris Pokorny, Susanna Janovsky, Head of Corporate Communications bei DORDA, Klaus Schmid, Geschäftsführer von Amberon Consulting sowie des Bundesverbandes Elektromobilität (BVe), der Anwalt Michael Borsky und der CFO von Hamburger Containerboard, Sigmar Mielacher.