Hochrangige Diskussionsrunde kam zum Schluss: Im Sinne Joseph Schumpeters sei auf eine schöpferische Zerstörung des heutigen Systems zu hoffen – es wird etwas Neues entstehen
Die Arbeitslosenzahlen steigen, Investitionen wandern zunehmend ins Ausland ab. Seit sechs Jahren ist diese „schleichende Erosion“ zu beobachten und lässt darauf schließen, dass in der österreichischen Wirtschaftspolitik etwas nicht stimmt. Dass politische Parteien oder die sogenannten Interessenvertretungen wie z.B. die Wirtschaftskammer mit ihrer verfassungsmäßig verankerten Pflichtmitgliedschaft nicht unbedingt dem Anforderungsprofil „Sprachrohr der österreichischen Unternehmerinnen und Unternehmer“ entsprechen, wurde in diesem Zusammenhang bereits vielfach beklagt und diskutiert. Das Internationale Forum für Wirtschaftskommunikation, IFWK, widmete sich daher dieser Tage im Wiener Presseclub Concordia den wahrscheinlichen Entwicklungen und möglichen Alternativen für die Zukunft und stellte daher die Frage: „Wer spricht eigentlich für die Wirtschaft?“
Zur Ausgangssituation: „Viele unserer Generation, vor allem wir Frauen und UnternehmerInnen fühlen uns von den Kammern nicht mehr vertreten. Wir brauchen Strukturen, die zu unseren Lebensrealitäten passen“, brachte die Geschäftsführerin von Seinfeld Professionals, Sophie Martinetz, den Unmut der Wirtschaft auf den Punkt. „Ich glaube, den Kammern ist es prinzipiell egal, wer von ihnen regiert wird. Die Kammern sind resistent seit 2007. Regierungen kommen und gehen, Kammern bleiben“, spitzte Franz Schellhorn, Geschäftsführer des Think Tanks Agenda Austria, die Problematik zu.
Dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Berndorf AG, Norbert Zimmermann, missfällt vor allem der „abgehobene Duktus“, mit dem Kammerfunktionäre bzw. Interessenvertreter ihren „Kunden“, also den Mitgliedern, aufgrund ihrer verfassungsmäßig abgesicherten Position gegenübertreten und stellte in diesem Zusammenhang die vielzitierte Frage: „Was war eigentlich ihre Leistung?“
Zimmermann weiter: „Die Arbeiter- bzw. Wirtschaftskammer machen in Nischen gute Jobs. Die AK zum Beispiel im Konsumentenschutz. Umgekehrt könnte die Wirtschaftskammer als Service-Institution für kleine Unternehmen sicher sinnvolle Leistungen erbringen. Ich glaube, es wäre gut, wenn die beiden ihr Geschäftsfeld bzw. Businessmodell neu überlegen. Ich greife sie nicht an und sage auch nicht, dass sie überhaupt weg gehören. Ich bin nur leidend kritisch.“
Und in Anlehnung an die aktuellen politischen Entwicklungen in Österreich sagte Zimmermann: „Es wird etwas Neues kommen. Wir brauchen nur nach Italien schauen, was passiert ist. Auch Berlusconi ist plötzlich da gewesen aus dem Nichts. Wir werden uns auf Chaos vorbereiten müssen. Allerdings gemeint, als Chaos frei nach Joseph Schumpeters schöpferischen Zerstörung, also als Chance. Ich bin ein großer Schumpeter-Anhänger, auch in der eigenen Organisation. Wir werden unsichere Zeiten erleben, aber es entsteht etwas Neues – dann wird das Land wieder spannend!“
Für große internationale Konzerne wird der Wirtschaftsstandort Österreich immer uninteressanter. Das erfuhr unter anderem der Wiener Martin Sabelko, der die Zentral- und Osteuropageschäfte des großen US-amerikanischen Immobilieninvestors CBRE Global Investors in den letzten zehn Jahren nicht von Wien, sondern von Prag aus steuerte. Auch er sagt, dass ein Systembruch notwendig sei und verwies auf die steigende Bedeutung von politischem Leadership.
In der vom Kolumnisten und Publizisten Johannes Huber geleiteten Diskussion gab unter anderem Leopold Bednar, Aufsichtsratsvorsitzender der börsenotierten BWT AG und des weltweit agierenden österreichischen Hi-Tech-Unternehmens TTTech zu bedenken, dass jene Parteien, die die Pflichtmitgliedschaft bei der Wirtschaftskammer 2007 in den Verfassungsrang erhoben, nach den aktuellen Urnengängen über keine Zweidrittelmehrheit mehr verfügen. Ein Funken Hoffnung also, dass diese Zwangsmitgliedschaft auch wieder einmal aufgelöst werden könnte.
Der Gründer und Präsident des Internationalen Forums für Wirtschaftskommunikation, Rudolf J. Melzer, konnte weiters als Gäste begrüßen: Christine Perkonigg von der Donau-Universität Krems, die Kommunikationschefin der Brau Union, Gabriela Straka, Corporate Advisor Bettina Gneisz-Al-Ani, Frunpark-Geschäftsführer Josef Anreiter, Dywidag-Geschäftsführer Herbert Berger, Feuerkultur-Geschäftsführer Herbert Wieser, die Wirtschaftsanwälte Wilhelm Milchrahm, Martin Stadlmann und Markus Frank, Finpoint-Geschäftsführer Werner Neuwirth-Riedl sowie den adesso-IT-Konsulenten Walter Weihs.