Durch den rasanten Aufstieg von Kryptowährungen und die Bestrebungen von Facebook & Co, eine eigene Währung zu etablieren, wird der Ruf nach dem digitalen Euro immer lauter
Bisher waren die Grenzen in der Finanzwelt klar abgesteckt: Auf der einen Seite standen die unberechenbaren digitalen Kryptowährungen wie Bitcoin usw. und auf der anderen Seite die traditionellen Währungen und Anlageformen der Banken. Nun aber befinde man sich an einer Weichenstellung, weil Bitcoin erwachsen wird und sich die Zentralbanken mit der digitalen Konkurrenz auseinandersetzen müssen. So lautete eine der Schlussfolgerungen eines Expertenpanels, das dieser Tage auf Einladung des Internationalen Forums für Wirtschaftskommunikation (IFWK) über „Unser Bargeld zwischen EZB und Blockchain“ diskutierte; mit einer Live-Übertragung aus dem Pressezentrum der Austria Presse Agentur.
Unter dem Titel „Euro goes Crypto“ diskutierten Experten aus Medien, Wirtschaft und Wissenschaft die aktuellen Entwicklungen am Kryptowährungsmarkt und die Bestrebungen der Europäischen Zentralbank (EZB), eine europaweite digitale Währung auf den Markt zu bringen. Nikolaus Jilch, Experte für Kryptowährungen beim Thinktank Agenda Austria: „Nicht zuletzt durch den gewaltigen Digitalisierungsschub, den Corona ausgelöst hat, hat es eine Preisexplosion der Bitcoin gegeben. Die Währung steckt jetzt mitten in der Pubertät und braucht Hilfe beim Erwachsenwerden. Banken müssen jetzt umdenken, auf den Zug aufspringen und Krypto-Produkte anbieten.“ Christoph Strnadl, Global Vice President Innovation & Architecture bei der Software AG ergänzt: „Warum sollte man auch noch klassische Transaktionen über eine Bank machen, wo normale Auslandsüberweisungen bis zu 10 Tage dauern und mich sieben Prozent Spesen kosten? Die Leistung von Bitcoin ist es, ohne Wartezeit Geldgeschäfte abzuwickeln und das auf eine nachvollziehbare Art und Weise.“ Für die EZB sei es nun entscheidend, den digitalen Euro voranzutreiben, um am internationalen Markt mithalten zu können. In den USA und auch in Asien sei man hier schon viel weiter.
Banken sind besorgt
Madlen Stottmeyer, Wirtschaftsredakteurin bei der Tageszeitung „Die Presse“ hält viele finanzpolitische Fragen noch für ungeklärt. Banken würden sich sorgen, dass die Bürger in Zukunft womöglich ein direktes Konto bei der EZB hätten. Wenn die Kunden der Geschäftsbanken Geld von ihren Bankkonten auf die neuen EZB-Konten überweisen, sinken die Guthaben der Geschäftsbanken auf ihren eigenen EZB-Konten. „Eine Finanzierungslücke entsteht.“ Wolle die EZB dies verhindern, müsse sie den Banken das fehlende Geld leihen. „Die EZB erhält mehr Macht.“
Anonymität und Datensicherheit gewährleistet?
Viele Privatanleger und Firmen haben die Befürchtung, dass bei digitalen Währungen die Daten- und IT-Sicherheit auf der Strecke bleibt. Christoph Strnadl winkt ab: „Technisch ist alles lösbar und die Implementierung wäre heute schon möglich, ohne die großen Softwarehäuser zu überfordern. Und auch die völlige Anonymität lässt sich zu 100 Prozent umsetzen.“ Dem pflichtet auch Nikolaus Jilch bei: „Der E-Euro hat idealerweise alle Funktionen von Bargeld bis hin zu totaler Anonymität.“ Laut den Experten sei der große Vorteil einer guten digitalen Währung eben diese Anonymität. Madlen Stottmeyer: „Immer, wenn ich mich klassisch ausweisen muss, weiß mein Gegenüber automatisch mehr als nötig, zum Beispiel mein Geburtsdatum, Ausstellungsort des Personalausweises usw. Beim E-Euro heißt Anonymität ja nicht, dass der andere gar nichts von mir weiß, er bekommt aber nur die notwendigen Informationen: Beispielsweise, ob ich über 18 Jahre alt bin und ob es sich um Schwarzgeld handelt oder nicht.“
E-Euro: Gute Idee aber für wen?
Die Experten waren sich bei der Diskussion, die von „derbrutkasten.com“-Chefredakteurin Sara
Grasel moderiert wurde, aber schnell einig, dass eine entscheidende Frage, die sich die EZB vor
Einführung des E-Euros stellen müsse, sei, wer ihn überhaupt nutzen darf. Bei einer digitalen
Währung ist es unmöglich eine Grenze zu anderen Staaten zu ziehen. Wie kann man kontrollieren,
wer sie nutzen darf? – Nur Menschen, die in Europa wohnen? Was ist dann mit den Briten zum
Beispiel oder Personen, die schon einmal hier gelebt haben. Nikolaus Jilch: „Das wird deshalb
spannend, weil digital alles blitzschnell geht. Gerade Länder, deren Währung sehr instabil ist, lechzen nach dem E-Euro. Nigeria ist nicht umsonst das größte Bitcoin-Land der Welt, weil deren Zentralbank eben nur Müll liefert.“ Gelöst könne das nur über einen örtlich begrenzten E-Euro werden oder über eine Lotterie, wie sie in Asien gemacht wird. Es brauche jedenfalls kreative Ideen seitens der EZB. Fakt ist, dass wir in einer Welt leben, in der immer mehr Zahlungen online getätigt und abgewickelt werden. Ganze Wertschöpfungsketten werden digitalisiert. Künftig werden wohl auch Autos und andere Maschinen Transaktionen ganz automatisch durchführen. Und hier werden Giganten wie Facebook oder Amazon eine große Rolle spielen. „Genau da liegt die wahre Notwendigkeit des EEuros“, betont Christoph Strnadl. „Die EZB muss die digitale Währung schnellstmöglich auf den Markt bringen, ansonsten werden wir früher oder später mit Kryptowährungen von Facebook oder Amazon bezahlen müssen. Und das ist keine gute Entwicklung: Diese Konzerne haben jetzt schon eine enorme Markmacht. Mit einer eigenen Währung würde man dann nur mehr bei ihnen einkaufen können.“
Nachhaltigkeit und Strombedarf
Digitale Währungen hätten aber auch die Chance, weltweit etwas Gutes zu tun, so die Diskutanten abschließend. Die EZB hätte jetzt die Chance, Nachhaltigkeitslücken zu besetzen und sich zu
überlegen, beispielsweise CO2- Zertifikate als Währung einzusetzen. Zum Thema Nachhaltigkeit gab der Gründer des IFWK, Rudolf J. Melzer, aber zu bedenken, dass sich allein seit 2017 der Strombedarf zum Schürfen von Bitcoin mehr als verzehnfacht hat: Er stieg von 6,6 Terawattstunden (2017) auf 67 Terawattstunden, das sind 67 Milliarden KWh bzw. der Jahresstrombedarfes eines Landes wie Norwegen. Um diesen Strom umweltfreundlich, zum Beispiel mit Windenergie herstellen zu können, müssten 67 Millionen Windräder (á 1 Megawatt) aufgestellt werden. In Österreich stehen aktuell 1.307 Windräder.
Unter den Zuhörerinnen und Zuhörern des Livestreams waren unter anderem die CFO der Austria Presseagentur, Doris Pokorny, die schweizerische Kryptoexpertin Yvonne Stucki, Hamburger Containerboard-Geschäftsführer Sigmar Mielacher, Martin Butollo, CEO Commerzbank Austria, Jürgen Horak, Advisor to the Board evoila Group, PwC-Partner Dieter Harreither sowie die IFWK-Vorstandsmitglieder Susanna Janovsky, Engelbert Washietl und Klaus Schmid.